Zum Prüfungsaufbau in der verwaltungsrechtlichen Fallbearbeitung

Vom zwei- zum dreigliedrigen Grundaufbau?

28.02.04

Aus:  Repetitorium im Verwaltungsrecht II  WS 2003/04

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A. Einführung

[B. Prüfung Erfolgsaussichten einer Klage] [C. Prüfung Rechtmäßigkeit] [D. Überblick Anfechtungsklage]

I. Der Prüfungsaufbau ist von zentraler Bedeutung für die juristische Fallbearbeitung. Auch im Verwaltungsrecht. Ein gut durchdachter Prüfungsaufbau demonstriert, daß der Bearbeiter den Stoff beherrscht, d.h. vor allem die Dogmatik des Sachgebietes durchdrungen hat. Er schafft einen roten Faden, der die Gedankenführung nachvollziehbar macht, schärft das Gespür für Zusammenhänge und erleichtert die Schwerpunktsetzung.

Der Bearbeiter ist in der Wahl seines Prüfungsaufbaus nicht frei. Der Aufbau muß den Gesetzen der Logik und den dogmatischen Strukturen des Sachgebietes folgen. So dürfen beispielsweise untergeordnete Gesichtspunkte grundsätzlich nicht auf der gleichen Ebene wie die Hauptgesichtspunkte geprüft werden, sondern sind in einem Teilabschnitt der Prüfung des Hauptgesichtspunktes zu behandeln (nicht "A., B., C." sondern "A., B.I, B.II."). Außerdem ist darauf zu achten, wo der Unterpunkt eingeordnet wird (bei "A." oder "B."?). Beides kann nämlich weitreichende Auswirkungen auf die folgende Argumentation und deren Schlüssigkeit haben. Deswegen zeigt sich in der Wahl eines bestimmten Aufbaus zumeist ein bestimmtes dogmatisches Grundverständnis des Bearbeiters, auch wenn dies nicht ausdrücklich ausgesprochen wird. Ebenso kann sich hier allerdings ein fehlendes dogmatisches Grundverständnis offenbaren. Daraus erklärt sich, warum ein überzeugender, insbes. konsistenter Prüfungsaufbau ein wichtiges Kriterium für die Bewertung einer Klausur oder Hausarbeit darstellt.

II. Bei Rechtsstreitigkeiten im öffentlichen Recht steht immer wieder die Frage im Vordergrund, ob eine bestimmte Maßnahme eines Hoheitsträgers rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Die rechtlichen Anforderungen, denen das Handeln des Hoheitsträgers gerecht werden muß, lassen sich in zwei Kategorien einteilen, nämlich die äußeren (= formalen ) Anforderungen (Zuständigkeit, Einhaltung von Verfahrensvorschriften, Wahl einer zulässigen Form) und die inhaltlichen (= materiellen) Anforderungen an die Entscheidung selbst. Dementsprechend hat sich in den modernen Rechtsordnungen ein zweigliedriger Prüfungsaufbau durchgesetzt, der zwischen einer "Formellen Rechtmäßigkeit" und einer "Materiellen Rechtmäßigkeit" unterscheidet.[1] Dieser Aufbau gilt im Verwaltungsrecht ebenso wie im Verfassungsrecht (dort "Formelle Verfassungsmäßigkeit" und "Materielle Verfassungsmäßigkeit", siehe Schema zur abstr. Normenkontrolle). Die beiden Kategorien sind erschöpfend. Ihnen lassen sich alle Rechtmäßigkeitsanforderungen zuordnen. Einen dritten gleichgeordneten Prüfungspunkt ("C." neben "A." und B.") kann es daher ohne Durchbrechung der Logik nicht geben.

III. In der Praxis stellt sich in den meisten Fällen zunächst eine andere Frage: Ein Bürger wehrt sich gegen eine Maßnahme eine Hoheitsträgers und hat daher einen Rechtsbehelf ergriffen (Widerspruch gegenüber der Behörde, Klage vor einem Gericht etc.). Dieser Rechtsbehelf liegt nun in Form einer Akte bei einem Juristen auf dem Tisch. Der will verständlicherweise erst einmal wissen, ob er sich überhaupt um diese Angelegenheit kümmern muß. Muß er das nicht, geht ihn die darin aufgeworfene Rechtsfrage nichts an. Deswegen prüft er zunächst, ob er überhaupt prüfen soll. Dem entspricht ein weiterer zweigliedriger Prüfungsaufbau, der sich in den modernen Rechtsordnungen durchgesetzt hat. Er unterscheidet zwischen der Zulässigkeit des Rechtsbehelfes (in seiner konkreten Form, von dem konkreten Rechtsbehelfsführer, an der konkreten Stelle) und seiner Begründetheit in der Sache. Auch dieser Grundaufbau gilt im Verwaltungs- wie im Verfassungsrecht, und im übrigen auch im Sozialrecht, Europarecht, Zivilrecht etc. Auch hier sind alle einschlägigen Prüfungspunkte ausschließlich einer der beiden Kategorien zuzuordnen.

 

B.  Zur Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage vor dem Verwaltungsgericht

[A. Einführung] [ C. Prüfung Rechtmäßigkeit] [D. Überblick Anfechtungsklage]

Der Rechtsschutz des Bürgers in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist in Deutschland auf verschiedene Gerichtsbarkeiten verteilt, nämlich die Verwaltungs-, die Sozial- und die Finanzgerichtsbarkeit. Daneben werden in bestimmten öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten auch die ordentlichen Gerichte tätig (vgl. § 40 II VwGO). Dementsprechend unterscheidet das Prozeßrecht zwischen verschiedenen Rechtswegen (dem ordentlichen Rechtsweg, dem Verwaltungsrechtsweg, dem Sozialgerichtsweg etc.). Es gibt keine allgemeine Klage "an sich", die man bei einer zentralen Anlaufstelle einreichen könnte, sondern nur die Klage in einem bestimmten Rechtsweg (Klage vor dem Verwaltungsgericht, Klage vor dem Sozialgericht, Klage vor den ordentlichen Gerichten etc.). Das hat zur Folge, daß eine Klage nicht allgemein ("an sich") sondern immer nur als Klage vor einem bestimmten Gerichtszweig zulässig oder unzulässig sein kann. Stellt sich also in der Fallprüfung heraus, daß die "Klage vor dem Verwaltungsgericht unzulässig" ist, bedeutet das nicht, daß der Kläger keinerlei Möglichkeit hat, sein Begehren gerichtlich geltend zu machen.

Aus Gründen der Prozeßökonomie sehen seit 1990 die §§ 173 VwGO, 17a II GVG für den Fall der Unzulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges vor, daß das angerufene Verwaltungsgericht die Klage nicht mehr durch Prozeßurteil als unzulässig abweist sondern von Amts wegen an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges verweist. Sie wird dann dort nach dem dort einschlägigen Prozeßrecht bearbeitet. An der Tatsache, daß es keine allgemeine Klage "an sich" gibt sondern nur die Klage in einem bestimmten Rechtsweg, hat sich damit nichts geändert. Die Rechtswegverweisung soll lediglich die Verzögerungen und den überflüssigen Aufwand vermeiden, die mit einer Klageabweisung durch das Gericht des falschen Rechtsweges und einer erneuten Klageerhebung im zulässigen Rechtsweg verbunden wären.

Dennoch hat diese Neuerung dazu geführt, daß seit einigen Jahren ein Teil der Literatur[2] die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs als eigenständigen, gleichgeordneten Gesichtspunkt prüft:

A. Verwaltungsrechtsweg

B. Zulässigkeit der Klage

C. Begründetheit der Klage

Einige Repetitorien haben sich dem angeschlossen und vertreten den neuen Aufbau mit Vehemenz.[3] Infolgedessen trifft man ihn zunehmend in den studentischen Fallbearbeitungen. Doch das dreigliedrige Prüfungsschema mißachtet, daß sich die Prüfungspunkte dogmatisch nach wie vor nur in zwei Gruppen (Gesichtspunkte der Zulässigkeit und der Begründetheit) einteilen lassen. Der "Verwaltungsrechtsweg" bildet keine dritte dogmatische Kategorie sondern bleibt ein Unterpunkt der Zulässigkeit. Die Klage bleibt auch nach der neuen Regelung in der gewählten Form, d.h. als Klage vor dem Verwaltungsgericht unzulässig, wenn der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet ist. Die Durchführung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens unter Anwendung der Vorschriften der VwGO bleibt ausgeschlossen. Die Regelung in §§ 173 VwGO, 17a II GVG verwandelt also nicht etwa unzulässige in zulässige Klagen, sondern ordnet lediglich für einen besonderen Fall der Unzulässigkeit eine andere Rechtsfolge als die Klageabweisung durch Prozeßurteil an. Sie sorgt dafür, daß Rechtsschutzbegehren und Rechtsschutzmöglichkeit ohne die Verzögerungen und den überflüssigen Aufwand einer erneuten Klageerhebung vor dem zuständigen Gericht in Kongruenz gebracht werden.

Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, der immer noch herrschenden Meinung[4] zu folgen, die an dem traditionellen Prüfungsschema festhält. Damit werden zugleich Widersprüche zum Prüfungsaufbau in anderen Fächern (Zivilprozeßrecht, Verfassungsprozeßrecht, Europarecht etc.) vermieden, die dogmatisch kaum zu erklären wären. Im Zivilprozeßrecht sieht man im übrigen keinen Anlaß, den bewährten Aufbau im Hinblick auf § 17a II GVG zu ändern, obwohl sich die Frage dort nicht anders stellt als im Verwaltungsrecht (die Vorstellung, fortan einen gleichgeordneten Prüfungspunkt "Zivilrechtsweg" vorwegzuprüfen, scheint eher Heiterkeit auszulösen).

Um klarzustellen, daß ausschließlich die verwaltungsgerichtliche Klage geprüft wird, kann der Zusatz "vor dem Verwaltungsgericht" in die Überschriften aufgenommen werden. Außerdem muß, wenn der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet ist, im Text der Lösung auf die Rechtswegverweisung von Amts wegen hingewiesen werden. Aus der Lösung muß deutlich werden, daß der Kläger nicht erneut tätig werden muß, um sein Klagebegehren vor das richtige Gericht zu bringen.

Der Prüfungsaufbau lautet danach wie folgt (® siehe auch ausführliches Schema):

A. Zulässigkeit der Klage vor dem Verwaltungsgericht

I. Verwaltungsrechtsweg

II. ...

B. Begründetheit der Klage vor dem Verwaltungsgericht

Beachte: Beide Aufbauvarianten sind vertretbar und in der Literatur gebräuchlich, müssen aber durchdacht angewandt werden. Insbesondere ist nachdrücklich vor einer stereotypen Anwendung des dreigliedrigen Aufbauschemas zu warnen. Wer etwa den Verwaltungsrechtsweg neben der Begründetheit prüft, wenn es in der Aufgabenstellung heißt, von der Zulässigkeit der Klage sei auszugehen, outet damit kein verwaltungsrechtliches Grundverständnis sondern einen Hang zum Absurden...

 

C.  Zur Prüfung der Rechtmäßigkeit einer verwaltungsbehördlichen Maßnahme

[A. Einführung] [B. Prüfung Erfolgsaussichten einer Klage] [D. Überblick Anfechtungsklage]

I. Auch zum Aufbau der Rechtmäßigkeitsprüfung gibt es heute unterschiedliche Vorstellungen. Lange Zeit herrschte Übereinstimmung, daß sie sich allein in "A. Formelle Rechtmäßigkeit" und "B. Materielle Rechtmäßigkeit" gliederte. Dieser Grundaufbau dominierte auch die Ausbildungsliteratur.[5] Weil die Frage der Ermächtigungsgrundlage bei der Rechtmäßigkeitsprüfung oftmals eine bedeutende Rolle einnimmt, ist jedoch in den neunziger Jahren ein großer Teil der Lit.[6] dazu übergegangen, die einschlägige Ermächtigungsgrundlage in einem eigenständigen, gleichgeordneten Prüfungspunkt vorweg zu bestimmen:

A. Ermächtigungsgrundlage

B. Formelle Rechtmäßigkeit

C. Materielle Rechtmäßigkeit

Auch dem sind die meisten Repetitorien gefolgt. In der Lehre sind indessen noch weitere, meist kompliziertere Vorstellungen zum Aufbau der Rechtmäßigkeitsprüfung entwickelt worden.[7] Für den Lernenden ergibt sich daraus schon bei den wichtigsten Grundlagen der verwaltungsrechtlichen Fallbearbeitung ein heterogenes, verwirrendes Bild. Die Orientierung fällt schwerer als in früheren Zeiten. Gerade hier kommt es für jeden einzelnen auf die Erarbeitung eines eigenen dogmatischen Grundverständnisses und dessen konsequente Umsetzung in einem konsistenten Prüfungsaufbau an. Dazu einige Überlegungen:

II. Der dreigliedrige Grundaufbau hat den Nachteil, daß er nicht der grundlegenden Anforderung gerecht wird, daß der Aufbau den dogmatischen Strukturen des Sachgebietes folgen muß: Die Frage, ob eine bestimmte Maßnahme einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf und worin diese ggf. liegt, ist eine Frage der materiellen Rechtmäßigkeit. Wenn aber eine Frage der materiellen Rechtmäßigkeit nicht im Zusammenhang mit dieser sondern außerhalb in einem getrennten Abschnitt geprüft werden soll, muß es dafür einen zwingenden Grund geben; anderenfalls ist der Aufbau falsch.

Als ein solcher Grund wird von den Vertretern jenes neuen Aufbaus angeführt, daß sich die formelle Rechtmäßigkeit nicht prüfen lasse, ohne zuvor die einschlägige Ermächtigungsgrundlage zu bestimmen. Das trifft indessen nur teilweise zu: Tatsächlich können je nachdem, um was für eine Art der Maßnahme es sich handelt, verschiedene Form- und Verfahrensvorschriften zu beachten oder unterschiedliche Zuständigkeiten gegeben sein. Dabei kommt es aber genau genommen nicht auf die Ermächtigungsgrundlage sondern die Art der Maßnahme an. Die Benennung der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage dient lediglich regelmäßig dazu, die Art der Maßnahme zu bestimmen. Häufig bestehen dieselben Zuständigkeiten und gelten dieselben Form- und Verfahrensbestimmungen für eine ganze Gruppe von Maßnahmen, die auf verschiedenen gesetzlichen Grundlagen beruhen aber demselben Teilrechtsgebiet zuzurechnen sind. Dann genügt es, diese Gruppe von Maßnahmen zu benennen (z.B. "Maßnahmen der Bauaufsicht", "Maßnahmen der Kommunalaufsicht", "ausländerrechtliche Maßnahmen" oder "versammlungsrechtliche Maßnahmen"). Für eine vorgezogene Abgrenzung zwischen verschiedenen Ermächtigungsgrundlagen besteht bei gleichen formellen Anforderungen keine Notwendigkeit und damit auch keine Rechtfertigung. Sie würde ohne Not die schwierigen, eindeutig der Frage der materiellen Rechtmäßigkeit zuzuordnenden Abgrenzungsprobleme aus dem Zusammenhang lösen und damit die dogmatischen Konturen im Prüfungsaufbau verwässern.

Gegen eine vorgezogene genaue Bestimmung der Ermächtigungsgrundlage spricht auch, daß zunächst eine weitere materielle Rechtsfrage geklärt werden müßte, nämlich ob es für die betr. Maßnahme überhaupt einer gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Das kann die Prüfung leicht "kopflastig" werden lassen. Hinzu tritt ein weiteres Problem: Nur die Frage, welche Ermächtigungsgrundlage einschlägig ist, darf vorweg geprüft werden, nicht aber, ob die Voraussetzungen dieser Emächtigungsgrundlage im konkreten Falle erfüllt sind. Letzteres ist nach allgemeiner Auffassung ausschließlich im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit zu erörtern;[8] häufig liegt hier das Hauptproblem des Falles. Dies wird von Studenten indessen oftmals übersehen, zumal es ihnen zurecht unnatürlich erscheint, die Bestimmung und die Subsumtion unter die Ermächtigungsgrundlage zu trennen. Wenn sie aber den gesamten Fragenkomplex Ermächtigungsgrundlage (Erforderlichkeit einer E., Bestimmung der E., Vorauss. der E.) vorziehen, begehen sie einen schwerwiegenden Aufbaufehler, der den Wert der Arbeit nach allgemeiner Auffassung deutlich herabsetzt. Auch wegen dieses Risikos, das sich in der Hektik einer Klausur leicht realisieren kann, erscheint es sinnvoll, dem anderen Teil der Lit.[9] folgend an dem klassischen, dogmatisch vorgegebenen Prüfungsaufbau festzuhalten.

III. Welche Lösung wird dem Problem der möglicherweise differierenden Zuständigkeiten, Formanforderungen oder Verfahrensanforderungen besser gerecht? Hier bieten sich verschiedene Möglichkeiten an:

1) Umkehr der Grundreihenfolge: Dogmatisch einwandfrei wäre eine vorgezogene Prüfung der gesamten materiellen Rechtmäßigkeit ("A. Materielle Rechtmäßigkeit, B. Formelle Rechtmäßigkeit"). Es gibt keine zwingende Aufbauregel, daß formelle und materielle Rechtmäßigkeit in einer bestimmten Reihenfolge zu prüfen seien (warum auch?). Da der Fragenkomplex Ermächtigungsgrundlage bei der Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit am Anfang steht, brauchte bei diesem Lösungsweg nichts umgestellt werden - gleich, welche Folgen sich aus der Bestimmung der Ermächtigungsgrundlage für die Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit ergeben. Dennoch ist von diesem Weg abzuraten, denn er steht im Widerspruch zu einer langjährig gefestigten Aufbautradition und kann daher bei einem „festgefahrenen“, wenig souveränen Leser Irritationen hervorrufen.

2)  Ad-hoc-Bestimmung der Art der Maßnahme: Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Art der Maßnahme erst dann zu bestimmen, wenn dies für die weitere Prüfung erforderlich wird, regelmäßig also erst im Rahmen der Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit bei der Erörterung der Zuständigkeit der Behörde oder des Verfahrens.[10] Dieser Weg kann sich anbieten, wenn die rechtliche Qualifizierung der Maßnahme eindeutig oder zumindest einfach ist. Gegen ihn wird aber häufig sprechen, daß er - zumindest bei flüchtiger Lektüre - die Orientierung in der Arbeit erschwert.

3) Benennung oder Vorüberlegung zur Art der Maßnahme in der Einleitung: In den meisten Fällen ist anzuraten, die Art der Maßnahme kurz in den Einleitungssätzen zur Rechtmäßigkeitsprüfung anzusprechen (® siehe beispielhaft ausführliches Schema zur Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes). Dieser Lösungsweg ist zurecht nach wie vor in der Literatur verbreitet.[11]

(a) Ist die Qualifizierung eindeutig oder wird sie gar schon von der Fallfrage vorgegeben (Besipiel: "Hat die Klage des X gegen die Abrißverfügung Aussicht auf Erfolg?"), reicht es aus, die Art der Maßnahme in einem einzigen Satz zu benennen, der in den Gedankengang integriert wird (Beispiel: "Die Klage des X hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist. ... Die Klage ist begründet, wenn die Abrißverfügung rechtswidrig ist und X in seinen Rechten verletzt. Es handelt sich hier um eine bauaufsichtsrechtliche Beseitigungsanordnung nach § 89 I Nr. 4 NBauO. Diese müßte formell oder materiell rechtswidrig sein..."). Durch Unterstreichen oder Fettdruck läßt sich sicherstellen, daß auch ein oberflächlicher Leser, der an stereotype Lösungen im dreigliedrigen Aufbau gewöhnt ist, auf den ersten Blick auf die Präzisierung der Art der Maßnahme stößt.[12]

(b) Soweit erforderlich, kann in die Einleitung zur Rechtmäßigkeitsprüfung eine Vorüberlegung aufgenommen werden, die einfachere oder gröbere Abgrenzungen vornimmt. Diese kann sich durchaus über mehrere Absätze erstrecken. Eine eigene Überschrift sollte die Vorüberlegung aber grundsätzlich nicht erhalten, damit die dogmatische Konsistenz der Gliederung nicht beeinträchtigt wird.

4) Ausgewiesene Vorüberlegung: Nur in denjenigen Fällen, in denen die Qualifizierung der Maßnahme schwierig ist und sich zugleich auf die Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit auswirkt (!), sollte ein eigenständiger Prüfungspunkt mit einer eigenen Überschrift vorangestellt werden. Um die dogmatische Konsistenz zu wahren und Mißverständnisse zu vermeiden, sollte dieser Prüfungspunkt allerdings schon in seiner Überschrift auf seinen Ausnahmecharakter hinweisen. Die Gliederung könnte etwa wie folgt lauten:

A. Vorüberlegung: Art der Maßnahme

B. Formelle Rechtmäßigkeit

C. Materielle Rechtmäßigkeit

IV. Welcher Lösungsweg sich am besten eignet, hängt von der Fallkonstellation ab. Hier ist ein souveräner Umgang mit Fragen des Aufbaus und der Gedankenführung in der juristischen Arbeit gefragt. Zumeist ist es ratsam, sich erst dann zu entscheiden, wenn der weitere Verlauf und die Schwerpunkte der Arbeit feststehen, also erst nach Beendigung der systematischen gedanklichen Lösung der Fallaufgabe anhand einer Arbeitsgliederung.[13] Jedenfalls müssen alle Fragen, die mit der Art der Maßnahme zusammenhängen, geklärt sein; der Aufbau der Arbeitsgliederung kann also nicht ohne weiteres übernommen werden. In der Regel dürfte Lösungsweg 3a) oder 3b) vorzuziehen sein.

Der heute zunehmend favorisierte dreigliedrige Grundaufbau ist selbstverständlich trotz aller Einwände vertretbar, denn er entspricht einer weitverbreiteten Lehrmeinung. Wenn allerdings ein Bearbeiter diesen Aufbau wählt, obwohl die Gründe dafür in dem konkreten Fall offensichtlich nicht gegeben sind, kann darin eine Aufbauschwäche liegen. Der dreigliedrige Grundaufbau sollte keinesfalls stereotyp als Standardschema für alle (noch so unproblematischen) Fälle zugrundegelegt werden. Wer pauschal auch dann einen Teil des Fragenkomplexes Ermächtigungsgrundlage aus der Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit herausreißt und als eigenständigen, gleichgeordneten Prüfungspunkt ("A. Ermächtigungsgrundlage") voranstellt, wenn es darauf für die Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit offenkundig nicht ankommt, weil nur eine Ermächtigungsgrundlage in Betracht kommt oder alle in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlagen zu denselben formellen Anforderungen führen, muß sich nach den Gründen fragen lassen.

 

D.  Überblick über die Prüfung der Erfolgsaussichten einer Anfechtungsklage

[A. Einführung] [B. Prüfung Erfolgsaussichten einer Klage] [ C. Prüfung Rechtmäßigkeit]

Im Anschluß an die vorstehenden Überlegungen läßt sich für die häufigste Konstellation in der verwaltungsrechtlichen Fallbearbeitung - die Prüfung der Erfolgsaussichten einer Anfechtungsklage gegen einen behördlichen Bescheid - folgendes grobe Schema festhalten:

A. Zulässigkeit der Klage vor dem Verwaltungsgericht

I. Verwaltungsrechtsweg

II. Klageart

III. Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen der Anfechtungsklage

· Klagebefugnis (§ 42 II VwGO), Widerspruchsverfahren (§§ 68 ff. VwGO), Wahrung der Klagefrist (§ 74 VwGO)

IV. Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen

· Zuständigkeit des Gerichts, beteiligtenbezogene Voraussetzungen (Beteiligten-, Prozeß-, Postulationsfähigkeit, richtiger Klagegegner), ordnungsgemäße Klageerhebung, keine anderweitige Rechtshängigkeit oder rechtskräftige Entscheidung, allg. Rechtsschutzbedürfnis

B. Begründetheit der Klage vor dem Verwaltungsgericht

I. Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes  (® siehe auch ausführliches Schema)

· evt. Benennung/Vorüberlegung: Art der Maßnahme?

1)  Formelle Rechtmäßigkeit

· Zuständigkeit der Behörde, Verfahren, Form

2)  Materielle Rechtmäßigkeit

· Ermächtigungsgrundlage, richtiger Adressat, Bestimmtheit, Möglichkeit der Ausführung, Verhältnismäßigkeit, kein Verstoß gegen (sonstige) Rechtsvorschriften, keine Ermessensfehler

II. Verletzung des Klägers in seinen Rechten

Für Fragen, Anregungen und Kritik bin ich  unter Tel. 39-46.37 oder E-mail Thomas.Schmitz@jur.uni-goettingen.de erreichbar.

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[1] Die Bezeichnungen variiieren allerdings in den verschiedenen Rechtsordnungen. So spricht man z.B. im französischen Verwaltungsrecht von "légalité externe" und "légalité interne" statt formeller und materieller Rechtmäßigkeit.

[2] Z.B. Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, 5. Aufl. 2003, § 10 Rdnr. 1; Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2001, Rdnr. 1165; Gröpl/Wehr, JuS 1995, L 76 (77).

[3] Anders noch Alpmann und Schmidt in dem von Wüstenbecker verfaßten Skript VwGO. Grundzüge des Verwaltungsprozessrechts, 2003, S. 55.

[4] Z.B. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2002, § 10 Rdnr. 29; Gersdorf, Verwaltungsprozeßrecht, 2. Aufl. 2003, Rdnr. 1 m.w.N.; Schmitt Glaeser/Horn, Verwaltungsprozeßrecht, 15. Aufl. 2000, Rdnr. 31; Starck, Fälle zum Verwaltungsrecht AT, 5. Aufl. 2000 (insbes. Schema 1); ders., Fälle zum Verwaltungsrecht BT, 4. Aufl. 2001; Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, 11. Aufl. 2003, Rdnr. 7 f.; Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme in der öffentlich-rechtlichen Arbeit, 8. Aufl. 2000, S. 29, 315; Rüfner/Muckel, Besonderes Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2002, z.B. S. 34; Schmidt-Jortzig/Ipsen/Heyen, 40 Klausuren aus dem Verwaltungsrecht mit Lösungsskizzen, 6. Aufl. 1999, z.B. S. 74 f.; Becker, Fälle und Lösungen zum Verwaltungsrecht, 2002, S. 26; Stumm/ Gärtner/Rumpf-Rometsch, Die Fälle. Verwaltungsrecht 1, 2. Aufl. 1999, S. 31 f.; Stein/Paintner, Fälle und Erläuterungen zum Polizei- und Ordnungsrecht, 2000, S. 156 ff.; Treder/Rohr, Prüfungsschemata Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2003, Rdnr. 454, 461; Grupp/Stelkens, Saarheimer Fälle zum Staats- und Verwaltungsrecht, Fall "Ausgehöhlt"; Heintzen, Übungen im Öffentlichen Recht für Fortgeschrittene WS 2002/03 (z.B. 1. Hausarbeit).

[5] Vgl. z.B. noch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, bis zur 9. Aufl. 1994, § 10 Rdnr. 29; Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht (Grundriß), 1985, S. 123 f.; siehe auch die frühen Auflagen der von Wüstenbecker verfaßten Alpmann und Schmidt-Skripte zum Allgemeinen Teil des Verwaltungsrechts.

[6] Z.B. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2002, § 10 Rdnr. 29; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2002, Rdnr. 610; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, 8. Aufl. 2002, Rdnr. 731; Schmitt Glaeser/Horn, a.a.O., Rdnr. 240; Ipsen, a.a.O., Rdnr. 1186; Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2002, Rdnr. 249; Rüfner/Muckel, a.a.O., z.B. S. 36 f.; Schmidt-Jortzig/Ipsen/Heyen, a.a.O., z.B. S. 80; Stumm/Gärtner/Rumpf-Rometsch, a.a.O., S. 66 f.

[7] So wird von Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2000, Rdnr. 605 ein an den Grundkategorien "I. Gesetzesvorbehalt" und "II. Vorrang des Gesetzes" ausgerichteter Prüfungsaufbau vertreten, bei dem die Ermächtigungsgrundlage im Mittelpunkt steht und die auf sie bezogenen formellen Rechtmäßigkeitsanforderungen sogar innerhalb eines Prüfungspunktes "Richtige Anwendung der Ermächtigungsgrundlage" geprüft werden sollen.  Schwerdtfeger, a.a.O., Rdnr. 10, schlägt folgendes Grobschema vor: (1.) in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage; (2.) formelle und verfahrensmäßige Anforderungen; (3.) Subsumtion unter die Ermächtigungsgrundlage; (4.) Ermessen und Ermessensfehler; (5.) verfassungsrechtliche Schranken.  Uerpmann, Schema Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes (aus Vorlesung WS 2001/02) unterscheidet (1.) Rechtsgrundlage, (2.) Tatbestand (hier [a] formelle und [b] materielle Voraussetzungen) und (3.) Rechtsfolge (gebundene Rechtsfolge oder Ermessen). Grundsätzlich gegen die Unterscheidung zwischen formeller und materieller Rechtmäßigkeit im Prüfungsaufbau spricht sich Hufen, a.a.O., § 25 Rdnr. 5 aus.

[8] Vgl. statt vieler Schenke, a.a.O., Rdnr. 731.

[9] Z.B. Battis, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2002, S. 155; Giemulla/Jaworsky/Müller-Uri, Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 1998, Rdnr. 359a; Stern, a.a.O., S. 233, 314; Starck, Fälle zum Verwaltungsrecht AT (5. Aufl. 2000, z.B. Fall 4) und BT (4. Aufl. 2001, insbes. Schema 2); Müller, Aufbauschemata Öffentliches Recht, 5. Aufl. 2002 (hrsg. v. Alpmann und Schmidt), S. 96; Treder/Rohr, a.a.O., Rdnr. 134, 163 ff.; Stein/Paintner, a.a.O., S. 149; Leggereit, Polizeirecht zum Downloaden, Schema Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des VA, vgl. dort auch die Fälle zum Download (Stand 2003).

[10] Vgl. z.B. Starck, Fälle zum Verwaltungsrecht BT, Fall 5.

[12] Förster/Sander, a.a.O., S. 222 wollen die Ermächtigungsgrundlage lediglich benennen, sehen aber allein dafür einen eigenständigen Prüfungspunkt mit einer eigenen Überschrift vor. Dieses liefe indessen auf das sture "Abklappern" eines Standardschemas hinaus, vor dem zurecht immer wieder gewarnt wird.

[13] Siehe dazu Schmitz, Einführung in die Fallbearbeitung, 2001, A.III.

 

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