Fall 3: Lügen zur deutschen Vergangenheit (Sachverhalt) (aktualisiert SS 2012)

05.11.01

Aus:  Ferienklausurenkurs im Öffentlichen Recht SS 2000 und Kolloquium Neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts WS 2001/02 (Univ. Bonn)

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Auf einer öffentlichen Diskussion zum Thema "Lehren aus der deutschen Vergangenheit" stellt A die Frage, ob man denn wirklich als ehrlicher Mensch behaupten könne, im Dritten Reich seien Millionen jüdischer Mitbürger systematisch verfolgt und vernichtet worden. Er selbst habe die verschiedensten Konzentrationslager besichtigt und dabei festgestellt, dass sich dort überhaupt keine Anlagen befunden hätten, mit denen man so viele Menschen hätte töten können. Außerdem könne er sich nicht erklären, woher denn dann die vielen Einwanderer nach Israel gekommen seien. Es müsse also endlich einmal die Frage aufgeworfen werden, ob es sich bei diesem "Holocaust-Märchen" nicht um eine gigantische Lüge handele, mit der man das deutsche Volk absichtlich betrüge.

Trotz einiger Tumulte wird die Veranstaltung fortgeführt. Als B an der Reihe ist, trägt er vor, die Nachkriegsentwicklung der Deutschen sei geprägt von antideutscher Umerziehungsagitation und kollektiver Selbstdemütigung. Letztere beruhe auf einem künstlich geschaffenen permanenten Schuldgefühl, das durch solche falschen Behauptungen, wie sie A zu Recht angegriffen habe, immer wieder neu erzeugt werde. Die Lehren aus der deutschen Vergangenheit seien doch die, dass es gelte, das deutsche Volk von allen verlogenen Vorwürfen, auch dem der angeblichen Massenvernichtung von Juden in deutschen Vernichtungslagern, zu rehabilitieren und neuem Selbstbewusstsein zuzuführen.

Nachdem es dem Diskussionsleiter gelungen ist, die aufgebrachten Veranstaltungsteilnehmer wieder zu beruhigen, entschließt er sich, weitere Diskussionsbeiträge zuzulassen, um so die Veranstaltung wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Als er dem C das Wort erteilt, behauptet der, seine eigenen wissenschaftlichen Nachforschungen hätten ergeben, dass die These von der Schuld der Deutschen am Zweiten Weltkrieg falsch sei. Diese Schuld treffe vielmehr die damaligen Kriegsgegner, die das Deutsche Reich durch ihr aggressives und bösartiges Verhalten in den Krieg getrieben hätten. Hitler habe einen gerechten Frieden gesucht, sei aber durch die unverantwortliche Politik der anderen Mächte in eine notwehrähnliche Lage und damit in den Krieg gezwungen worden. Wenn man jetzt über die Verfolgung der Juden während des Zweiten Weltkrieges urteilen wolle, müsse man sich auch mit den Kriegszielen und Kriegsverbrechen der Kriegsgegner befassen und an diese den gleichen Wertmaßstab anlegen.

Die Veranstaltung wird daraufhin abgebrochen. A und B werden später vom Strafgericht wegen Volksverhetzung nach § 130 III StGB zu Geldstrafen verurteilt.

A sieht sich durch das Strafurteil in seiner Meinungsfreiheit verletzt. Schließlich gehe es hier um seine persönliche Meinung darüber, was damals wirklich vorgefallen sei. Er sei halt der Meinung, dass es eine systematische Judenverfolgung im Dritten Reich nicht gegeben habe und glaube den anderslautenden Berichten von Zeitzeugen und Historikern kein Wort. Meinungsfreiheit bedeute auch die Freiheit, eine solche für manchen vielleicht ungewöhnliche Ansicht zu äußern. Und jener § 130 III StGB sei ja wohl nichts anderes als eine einseitige Diskriminierung Andersdenkender, denn er stelle nur das Leugnen der Taten der Nationalsozialisten unter Strafe, nicht aber der schweren Verbrechen der Stalinisten in der Sowjetunion, der Roten Khmer in Kambodscha oder der Tschetniks in Bosnien.

Ist A Ihrer Ansicht nach in seinem Grundrecht der Meinungsfreiheit verletzt?

B sieht in seiner Verurteilung ebenfalls einen Verstoß gegen Grundrechte. Den klugen Ausführungen des A könne er sich nur anschließen. Außerdem komme es ihm persönlich gerade darauf an, dass sich die Deutschen endlich von ihren Selbstvorwürfen frei machten. Es könne doch wohl nicht verfassungsmäßig sein, ihn für die Äußerung dieser von so manchem Politiker geteilten Meinung strafrechtlich zu belangen.

Nachdem Rechtsmittel gegen die Strafurteile erfolglos bleiben, wendet sich B an das Bundesverfassungsgericht. Mit Aussicht auf Erfolg?

C hat seine Erkenntnisse mittlerweile veröffentlicht. In seiner Schrift wird jede These mit einem von C so bezeichneten "unwiderlegbaren wissenschaftlichen Argument" versehen, das entweder aus einer Wiederholung der These in anderer Formulierung oder aus pauschalen, nicht weiter konkretisierten oder belegten Vorwürfen an die Alliierten besteht. Nun plant C eine Vortragsreise, auf der er die Bürger durch Lesungen aus seinem Werk über die neuesten Forschungsergebnisse zur Kriegsschuldfrage informieren will; dafür hat er bereits Räumlichkeiten in Gaststätten angemietet. Eines morgens erfährt er aus der Zeitung, dass die Landesregierung seines Landes (L) eine Gesetzesinitiative für ein Landesversammlungsgesetz eingebracht hat, welches das Versammlungsgesetz des Bundes ablösen soll, und dass nach § 5 Nr. 4 des vorgeschlagenen Gesetzes Versammlungen in geschlossenen Räumen auch verboten werden können, wenn Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, dass der Veranstalter oder sein Anhang "Ansichten vertreten oder Äußerungen dulden werden, die in unsachlicher und voreingenommener Weise die Mitverantwortung des Deutschen Reiches für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges leugnen". C fürchtet nun, dass seine öffentlichen Vortragsveranstaltungen nach diesem Zusatz in § 5 Nr. 4 verboten werden könnten und seine wichtigen Forschungsergebnisse dann denjenigen Bürgern, die nicht die Zeit hätten, sein Buch zu lesen, vorenthalten blieben. Sein Anwalt beruhigt ihn, dass solche Verbote jedenfalls verfassungswidrig wären und dass er (der C) gegebenenfalls gegen einen § 5 Nr. 4 mit dem Wortlaut, wie ihn die Gesetzesinitiative einführen wolle, erfolgreich vor das Bundesverfassungsgericht ziehen könne. Ist diese Auskunft korrekt?

Bearbeitervermerk: Es ist davon auszugehen, dass aus spezifisch strafrechtlicher Sicht keine Bedenken gegen die Strafurteile bestehen.

§ 130 III StGB lautet:

(3) ... wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 220a Abs. 1 [Völkermord] bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.

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