Fall 3: Lügen zur deutschen Vergangenheit (Besprechung) (aktualisiert SS 2012)

05.11.01

Aus:  Ferienklausurenkurs im Öffentlichen Recht SS 2000 und Kolloquium Neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts WS 2001/02 (Univ. Bonn)

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lösungsskizze:

 

A.  Verletzung des A in seinem Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 I 1, 1. HS GG)

[Erfolgsaussichten des B] [Auskunft von C's Anwalt] [Anmerkung und Vertiefungshinweis]

· Vorüberlegung: potentieller Eingriffsakt: das Strafurteil, das dem A in Anknüpfung an eine von ihm gemachte Äußerung eine Geldstrafe auferlegt

I.   Einschlägigkeit des Grundrechts nach seinem persönlichen Schutzbereich: (+)

· Träger des Grundrechts aus Art. 5 I 1, 1. HS ist "Jeder" und damit auch A

II.  Einschlägigkeit des Grundrechts nach seinem sachlichen Schutzbereich

1) Äußerung in Wort, Schrift oder Bild: (+)

· Wortmeldung in der Diskussionsveranstaltung

2) Durch die Meinungsfreiheit geschützter Gegenstand der Äußerung

· beachte: Schutzgut des Grundrechts aus Art. 5 I 1, 1. HS GG ist nicht die Äußerung schlechthin, sondern die Meinungsäußerung

· beachte: kein Ausschluss der Qualifizierung als Meinungsäußerung aufgrund etwaiger inhaltlicher Verwerflichkeit: Ob eine Äußerung als inhaltlich wertlos oder abwegig einzustufen ist, ob sie rational oder emotional begründet ist, ob sie sachlicher oder polemischer Natur ist, ist für ihre Qualifizierung als Meinung ohne Bedeutung.[1] Dem Wortbeitrag des A kann also nicht schon deswegen der Meinungscharakter abgesprochen werden, weil er die Verfolgung der Juden unter der Herrschaft des Nationalsozialismus in unverantwortlicher Weise verkennt und die große Mehrheit der Bürger solche Äußerungen als verwerflich ablehnen würde.

a) Frage: (-)

· beachte: A hat in den entscheidenden Passagen seines Wortbeitrages nur Fragen gestellt

· Problem: Fragen als Schutzgut der Meinungsfreiheit?[2]

· Das Grundrecht der Meinungsfreiheit schützt auch das Stellen von Fragen. Fragen bilden eine eigene Kategorie der Meinung i.S.d. Art. 5 I 1 GG. (Begründung: Schutzzweck des Art. 5 I 1 GG; Bedeutung von Fragen für einen freien Meinungsbildungsprozess; Sicherung eines umfassenden Kommunikationsprozesses)

· Rhetorische Fragen sind jedoch wie Aussagen zu behandeln. Für die Unterscheidung von echten und rhetorischen Fragen kommt es darauf an, ob der Fragesatz ernsthaft auf Antwort gerichtet ist und für verschiedene Antworten offen ist. (Begründung: Nicht jeder Fragesatz hat wirklich eine Frage zum Inhalt; allein durch die Einkleidung in Frageform wird der Inhalt einer Äußerung noch nicht zur Meinung i.S.d. Art. 5 I 1 GG)

· Hier: offensichtlich nur eine rhetorische Frage, A hat die Einkleidung in Frageform nur gewählt, um seinen Wortbeitrag als angebliche Zuschauerfrage vortragen zu können

b) Werturteil: (-)

· Charakteristisch für die Meinung ist das Werturteil. Meinungen sind durch das Element der wertenden Stellungnahme, des Dafürhaltens, der Beurteilung geprägt;[3] dem Begriff der Meinung wohnt die Subjektivität der Wertung inne.[4] Bei der Aussage, eine systematische Judenverfolgung habe es im Dritten Reich nicht gegeben und die Berichte über den Holocaust seien Lügen, handelt es sich aber nicht um ein politisches oder sonstiges subjektives Werturteil, sondern um eine Behauptung von Tatsachen.

c) Tatsachenmitteilung

· Problem: Tatsachenmitteilungen als Schutzgut der Meinungsfreiheit?

· Früher hL[5]: (-), da darin kein Werturteil enthalten.

· Herzog[6]: (+), da ohnehin nicht exakt von Werturteilen abzugrenzen; Mitteilungsbedürfnis als Schutzobjekt des Art. 5 I GG; Schutz der individuellen Berichterstattung allein durch das Auffang-GR des Art. 2 I GG wäre nicht ausreichend

· Heute ganz hM[7]: Tatsachenmitteilungen können unter den Begriff der Meinung fallen, weil und soweit sie Voraussetzung der Bildung von Meinungen sind. (Begründung: Art. 5 I hat die Funktion, in seiner Gesamtheit eine freie Meinungsbildung zu gewährleisten, und dazu bedarf es auch der freien Mitteilung von Tatsachen; auch die Auswahl der mitgeteilten Tatsachen weist wertende Elemente auf; Tatsachenmitteilungen sind i.d.R. ohnehin mit einem - zumindest stillschw. ausgedrückten - Werturteil verbunden)

· Stellungnahme: (+) (® eigene Argumentation!)

· Problem: Auch erwiesenermaßen unwahre Tatsachenbehauptungen als Schutzgut der Meinungsfreiheit?

· beachte: Die systematische Verfolgung der Juden unter der Herrschaft des Nationalsozialismus ist eine historisch gesicherte Tatsache, die nicht ernsthaft bezweifelt werden kann, ihre Leugnung damit eine erwiesen unwahre Tatsache[8]

· BVerfG[9], hL[10]: Tatsachenbehauptungen, deren Unwahrheit bereits zum Zeitpunkt ihrer Äußerung erwiesen ist, stellen keine durch Art. 5 I 1 geschützte "Meinung" dar. (Begründung: unrichtige Information kein schützenswertes Gut; falsche Tatsachenbehauptungen können zur verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen)

· Teil der Lehre[11]: auch unwahre Tatsachenbehauptungen sind Meinungen. (Begründung: gegen eine überzogen objektivistisch-institutionelle Sicht der Meinungsfreiheit; mangelnde Schutzwürdigkeit der Tatsachenbehauptung kein taugliches Kriterium)

· Stellungnahme: hM folgen (® eigene Argumentation!)

· Die Äußerungen des A sind hier also auch nicht als Tatsachenmitteilungen von der Meinungsfreiheit geschützt. (beachte: Wer hier zu anderem Ergebnis gelangt, muss mit der Prüfung der Eingriffsqualität der Maßnahme und der Rechtfertigung des Eingriffs durch GR-Schranken (s.u.) fortfahren.)

Ergebnis: Eine Verletzung des Grundrechts der Meinungsfreiheit scheidet bereits deswegen aus, weil es an einem Eingriff in dessen Schutzbereich fehlt.

 

B.  Erfolgsaussichten des Antrags des B vor dem Bundesverfassungsgericht

[Meinungsfreiheit des A] [Auskunft von C's Anwalt] [Anmerkung und Vertiefungshinweis] [Sachverhalt]

 I.   Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde des B

[Begründetheit]

1) Beteiligtenfähigkeit des Beschwerdeführers: (+)

· B als "jedermann" i.S.d. Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG

2) Maßnahme der öffentlichen Gewalt (Beschwerdegegenstand): (+)

· das Urteil des Strafgerichts, das dem B eine Geldstrafe auferlegt

3) Behauptung einer Grundrechtsverletzung (Beschwerdebefugnis)

a) Geltendmachen der Verletzung eines grundgesetzlich geschützten GR

aa) möglicherweise verletzte GRe: Meinungsfreiheit (Art. 5 I 1, 1. Alt. GG) und Gleichheit (Art. 3 I GG), ggf. das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 I GG)

bb) Erfüllung etwaiger besonderer Anforderungen an das Geltendmachen von Grundrechtsverletzungen bei Verfassungsbeschwerden gegen Gerichtsentscheidungen

· Der Gang vor das BVerfG stellt keine Verlängerung des herkömmlichen Rechtsweges dar, sondern dient nur der Überprüfung auf spezifische Verletzungen von Grundrechten durch das angegriffene Urteil (® das BVerfG ist keine "Superrevisionsinstanz"). Das BVerfG prüft also nicht, ob das Gericht in seinem Urteil das einschlägige Gesetz (hier: § 130 III StGB) "richtig" angewandt hat, sondern ausschließlich, ob es bei der Anwendung des Gesetzes den Einfluss der Grundrechte gänzlich oder doch grundsätzlich verkannt hat.

· Das Problem stellt sich hier jedoch nicht, denn die Grundrechtsverletzung liegt hier ggf. nicht in einer falschen Anwendung des § 130 III StGB, sondern darin, dass das Strafgericht diese - möglicherweise verfassungswidrige - Vorschrift überhaupt angewandt hat (ohne zuvor in einem konkreten Normenkontrollverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des BVerfG über deren Verfassungsmäßigkeit einzuholen). B kann jedenfalls geltend machen, dadurch in seinen GRen verletzt zu sein, dass das Strafgericht ihn nach dieser Vorschrift verurteilt hat.

b) Eigene, gegenwärtige und unmittelbare Beschwer des Beschwerdeführers: (+)

4) Rechtswegerschöpfung (§ 90 II 1 BVerfGG): (+)

5) Wahrung von Form und Frist: (+)

Von der Wahrung der Beschwerdefrist (§ 93 I BVerfGG), der Schriftform (§ 23 I 1 BVerfGG) und der Begründungspflicht (§§ 23 I 2, 1. HS, 92 BVerfGG) kann mangels entgegenstehender Angaben im Sachverhalt ausgegangen werden.

Die von B erhobene Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

 II.  Begründetheit der Verfassungsbeschwerde des B

[Zulässigkeit]

1) Verletzung des Grundrechts der Meinungsfreiheit

[Verletzung anderer Grundrechte]

· Bearbeiterhinweis:Aus auftbautechnischen Gründen aber nicht dem sachlichen Schwerpunkt nach wäre es naheliegend, zunächst die Verletzung des GR aus Art. 3 I GG zu prüfen.

a) Eingriff in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit

[Rechtfertigung durch Schranken]

· Vorüberlegung: potentieller Eingriffsakt: das Strafurteil

aa) Einschlägigkeit des Grundrechts nach seinem persönlichen Schutzbereich: (+)

bb) Einschlägigkeit des Grundrechts nach seinem sachlichen Schutzbereich

a) Äußerung in Wort, Schrift oder Bild: (+)

b) Durch die Meinungsfreiheit geschützter Gegenstand der Äußerung

· Problem: Gesamtäußerung mit eingeflochtener unwahrer Tatsachenbehauptung als von Art. 5 I 1 GG geschützte Meinungsäußerung?

· Den Kern der Ausführungen des B bildet die These, das dt. Volk sei von seiner (angeblichen) kollektiven Selbstdemütigung zu befreien und neuem Selbstbewusstsein zuzuführen. Bei dieser politischen Forderung handelt es sich um ein klassisches subjektiv geprägtes Werturteil, was sich auch darin zeigt, dass B hier von den "Lehren" spricht, die aus der Vergangenheit zu ziehen seien. Die von B (und so manchem Politiker) erhobene politische Forderung als solche fiele also ohne Zweifel in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Zur Begründung dieser Forderung greift B indessen auf die unwahren Tatsachenbehauptungen zurück, die auch A schon vorgetragen hat und die als solche nicht von der Meinungsfreiheit geschützt sind (s.o.). Damit stellt sich die Frage, wie umfangreiche Stellungnahmen zu beurteilen sind, die sich aus Tatsachenbehauptungen und Werturteilen zusammensetzen.

· Vertretbare Ansicht: Zusammengesetzte Stellungnahmen sind in ihre einzelnen Bestandteile zu untergliedern und diese dann jeweils getrennt zu beurteilen, denn anderenfalls besteht die Gefahr, dass Meinungsäußerungen vorgetäuscht werden, um auf diesem Wege unwahre Tatsachenbehauptungen unter den Schutz des Grundrechts aus Art. 5 I 1 GG zu stellen.

· BVerfG[12]: Werden Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen so miteinander verbunden, dass sie erst in ihrer Gesamtheit den Sinn der Äußerung ausmachen, dass sie sich also ohne Sinnverfälschung nicht mehr voneinander trennen lassen, muss im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes die Äußerung in ihrer Gesamtheit als Meinungsäußerung angesehen werden und in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit einbezogen werden, weil anderenfalls die Gefahr einer wesentlichen Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte.

· Stellungnahme: Der Ansicht des BVerfG ist zu folgen. Anderenfalls Gefahr des Abwürgens freier Meinungsbildungsprozesse. Häufig lässt sich die eigene Meinung nicht darstellen, ohne hilfsweise auf Tatsachenbehauptungen zurückzugreifen. Kollisionen mit durch die unwahre Tatsachenbehauptung angegriffenen Rechtsgütern können auf Ebene der Grundrechts-Schranken geregelt werden. Die andere Lösung würde der grundlegenden Bedeutung der Meinungsfreiheit für den demokratischen Staat nicht gerecht (® argumentieren!)

· Ergebnis: Äußerungen der Art, wie sie B getätigt hat, sind durch das GR der Meinungsfreiheit geschützt.

cc) Eingriffsqualität der Maßnahme: (+)

b) Rechtswidrigkeit dieses Eingriffs (Fehlen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung durch Grundrechts-Schranken)

[Eingriff in den Schutzbereich]

· beachte: Eine Rechtfertigung des Eingriffs durch die Schranke der gesetzl. Bestimmungen zum Schutze der Jugend oder durch das Recht der persönlichen Ehre scheidet hier aus, denn die strafrechtliche Verurteilung des B dient nicht dem Ehr- oder Jugendschutz, sondern dem Schutz des öffentlichen Friedens: Schutzgut des 1994 eingeführten § 130 Abs. 3 StGB ist der öffentliche Friede, und zwar hier insbes. das Allgemeininteresse daran, dass das politische Klima nicht vergiftet wird.[13] In Betracht kommt daher nur eine Rechtfertigung durch die Schranke der allgemeinen Gesetze. (Bearbeiterhinweis: Sofern ein Bearbeiter die Schranke des Rechts der persönlichen Ehre mit dem Hinweis auf entspr. Argumentationen bei der Bestrafung der Auschwitzlüge nach § 185 StGB heranzieht, kann das u.U. als noch vertretbar bewertet werden, wenn er eingehend begründet, dass seiner Ansicht nach der Ehrschutz - neben dem öff. Frieden - zumindest auch verfolgt werde.)

aa) Problem: § 130 III StGB als "allgemeines Gesetz" i.S.d. Art. 5 II GG[14]

· Adressatenkreislehre: "allgemein" bedeutet Allgemeinheit in Bezug auf den betroffenen Personenkreis

· danach wäre § 130 III StGB, der ausnahmslos für alle Bürger gilt, ein allg. Gesetz

· Sonderrechtslehre: "allgemein" bedeutet Allgemeinheit in Bezug auf die betroffenen Freiheitsgüter (kein Sonderrecht also, das ausschl. die Kommunikationsfreiheiten einschränkt)

· danach wäre § 130 III StGB, der eine Tathandlung unter Strafe stellt, die nur in der Kommunikation bestimmter Ansichten bestehen kann, kein allg. Gesetz

· Abwägungslehre: Allgemeine Gesetze sind die, die dem Schutze eines allgemein (also auch gegen die Verletzung durch Meinungsäußerungen) zu schützenden vorrangigen Rechtsgutes dienen.

· danach wäre § 130 III StGB ein allg. Gesetz, denn er bezweckt den Schutz des öffentlichen Friedens und damit eines elementaren Gemeinschaftswertes, der im Einzelfall u.U. auch gegenüber den Kommunikationsfreiheiten Vorrang beanspruchen kann; beachte im Übrigen, dass § 130 III StGB die Leugnung der Judenverfolgung nicht schlechthin unter Strafe stellt, sondern nur dann, wenn sie in einer Art u. Weise geschieht, die geeignet ist, den öff. Frieden zu stören.

· BVerfG (in Verknüpfung von Sonderrechts- und Abwägungslehre): Allgemeine Gesetze sind Gesetze, "die ‘nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten’, die vielmehr ‘dem Schutze eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen’, dem Schutze eines Gemeinschaftswerts, der gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit den Vorrang hat"[15]

Problem: Kumulative oder alternative Anwendung von Sonderrechts- und Abwägungslehre nach der Rspr. des BVerfG? - Die vom BVerfG benutzte Formel ist in sich widersprüchlich, da ein Gesetz durchaus - wie hier - gegen eine bestimmte Meinung oder Meinungsäußerung gerichtet sein, aber dennoch dem Schutze eines vorrangigen Rechtsgutes dienen kann. Es fragt sich dann, ob nur die eine oder die andere oder aber beide Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt sein müssen. Im ersten Falle wäre § 130 III StGB kein allg. Gesetz, denn er richtet sich gezielt gegen bestimmte Meinungsäußerungen, in die die unwahre Tatsachenbehauptung eingeflochten ist, eine systematische Judenverfolgung habe es unter der Herrschaft des Nationalsozialismus nicht gegeben. Anders im zweiten Falle, denn § 130 III StGB dient dem Schutze des wichtigen und ohne Rücksicht auf bestimmte Meinungen zu schützenden Rechtsgutes des öffentl. Friedens. Denkbar ist schließlich auch, für jeden Fall die Erfüllung jener Vorrangigkeitsvoraussetzung zu verlangen und das aus der Sonderrechtslehre gewonnene Kriterium nur in Zweifelsfällen zusätzlich heranzuziehen. Im Übrigen stellt sich die Frage, welche Folgen es hat, wenn sich ein Gesetz genau genommen nicht gegen eine bestimmte Meinungsäußerung selbst sondern nur gegen eine darin eingeflochtene unwahre (und daher als solche nicht geschützte) Tatsachenbehauptung richtet.[16]

· Stellungnahme: Der Abwägungslehre (bzw. einer Anwendung der vom BVerfG entwickelten Formel i.S. vor allem dieser Lehre) ist zu folgen, denn der Schutz wichtiger Gemeinschaftswerte (wie hier des öffentl. Friedens) kann im Einzelfall auch eine gezielte Beschränkung der Kommunikationsfreiheiten unumgänglich werden lassen. Allerdings darf die Einschränkung nicht isoliert an den Inhalt der Meinung anknüpfen, sondern nur an bestimmte Wirkungen, die die Äußerung einer Meinung dieses Inhalts in einer bestimmten Art und Weise im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut hervorrufen kann. Dieses Kriterium ist hier erfüllt, § 130 III StGB ist demnach als allg. Gesetz i.S.d. Art. 5 II GG anzusehen. - Für diese Lösung spricht unabhängig von dieser Begründung auch, dass sich das Gesetz primär nicht gegen eine Meinungsäußerung sondern eine unwahre Tatsachenbehauptung richtet und der Bürger jede Meinung frei äußern kann, solange er auf die Verflechtung mit der Lüge verzichtet.

(Bearbeiterhinweis: Die Gegenansicht wäre, insbes. mit Blick auf die Wunsiedel-Entscheidung, ebenso gut vertretbar! Dann müsste anschließend die Rechtfertigung des Eingriffs durch immanente Grundrechts-Schranken geprüft werden. Hier muss ausgiebig argumentiert werden!)

bb) Verfassungsmäßigkeit des § 130 III StGB

 · insbes. Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: (+)

· insbes. kein Verstoß gegen das Übermaßverbot (= Angemessenheit, Verhältnismäßigkeit i.e.S.), denn die Meinungsfreiheit ist in den Fällen, in denen § 130 III StGB Meinungsäußerungen erfasst, in die die Leugnung der Judenverfolgung eingeflochten ist, wenig schutzwürdig und muss hinter dem Interesse an der Sicherung des öffentl. Friedens zurückstehen. Bei Meinungsäußerungen, die mit Tatsachenbehauptungen verbunden sind, kann die Schutzwürdigkeit vom Wahrheitsgehalt der ihnen zugrundeliegenden tatsächlichen Annahmen abhängen.[17]

· zum Schutze des vorrangigen Rechtsgutes des öffentlichen Friedens kann auch die Verhängung einer Strafe geeignet, erforderlich u. angemessen sein

· Problem: Vereinbarkeit des § 130 III StGB mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 I GG)?

Die Ungleichbehandlung derjenigen, die den öff. Frieden dadurch gefährden, dass sie die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen völkermordartigen Handlungen leugnen, mit denjenigen, die den öff. Frieden dadurch in Gefahr bringen, dass sie ebensolche Handlungen leugnen, die unter anderen Gewaltherrschaften begangen worden sind (etwa unter den Stalinisten in der ehem. SU, den Roten Khmern in Kambodscha oder den Milizen im serbisch besetzten Teil Bosniens), verstößt gegen Art. 3 I GG, wenn sie willkürlich, d.h. nicht durch einen sachlichen Differenzierungsgrund von hinreichendem Gewicht[18] gerechtfertigt ist.

Ein sachl. Differenzierungsgrund liegt hier in dem besonderen historischen Bezug und seinen Folgen, nämlich darin, dass - jedenfalls in Deutschland - das Leugnen des im Dritten Reich, d.h. von Deutschen und unter deutscher Verantwortung begangenen Völkermordes besonders gefährlich ist. Es kann nicht nur den öffentl. Frieden erhebl. stören, sondern darüber hinaus wichtigen öffentl. Interessen der Bundesrepublik schaden (etwa dem Jugendschutz o. dem Ansehen im Ausland) und in schweren Fällen sogar u.U. die freiheitlich-demokratische Ordnung in Gefahr bringen. Die Erfahrungen mit dem erstarkenden Rechtsextremismus seit den neunziger Jahren haben im Übrigen gezeigt, dass sich in Regionen, in denen die Auschwitzlüge häufig verbreitet wird, nicht selten auch die Gewalttaten gegen Minderheiten häufen.

Dieser sachl. Differenzierungsgrund ist auch von hinreichendem Gewicht, denn das Leugnen der völkermordartigen Verbrechen anderer Gewaltherrscher außerhalb Deutschlands mag zwar ebenso verwerflich sein, birgt aber jedenfalls keine vergleichbaren Gefahren.

§ 130 III StGB ist also auch mit Art. 3 I GG vereinbar. (a.A. bei sorgfältiger, nicht an der Oberfläche bleibender Argumentation vertretbar[19])

cc) Verfassungsgemäße Anwendung des § 130 III StGB: (+)

· insbes. Beachtung des Verhältnismägßigkeitsgrundsatzes bei der Anwendung (® Wechselwirkungslehre!): B ist nur geringfügig belastet, nämlich nicht zu einer Freiheits- sondern Geldstrafe verurteilt worden; der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt nicht, dass in Fällen mit durchschnittlichem Schuldgehalt das Verfahren grundsätzlich nach §§ 153 ff. StPO eingestellt und so von einer strafrechtlichen Verurteilung abgesehen wird (a.A. jedoch im Hinblick auf den Cannabis-Beschluss des BVerfG[20] bei eingehender Begründung vertretbar)

2) Verletzung des Grundrechts aus Art. 3 I GG: (-)

[Verletzung der Meinungsfreiheit]

· Anhaltspunkte dafür, dass § 130 III StGB, der seinerseits mit Art. 3 I GG vereinbar ist (s.o.), gleichheitswidrig (nur) auf B angewandt worden sein könnte, sind nicht ersichtlich

3) Verletzung des Grundrechts auf freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit (Art. 2 I GG): (-)

· dieses GR, das u.a die allgemeine Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne gewährleistet, wird hier im Wege der Grundrechtskonkurrenz durch das speziellere GR der Meinungsfreiheit verdrängt und ist daher nicht anwendbar

B ist also durch das Strafurteil in keinem seiner Grundrechte verletzt.

Ergebnis: Die VB des B ist zulässig aber unbegründet und hat daher keine Aussicht auf Erfolg.

 

C.  Zur Richtigkeit der dem C von seinem Anwalt erteilten Auskunft

  [Meinungsfreiheit des A] [Erfolgsaussichten des B] [Anmerkung und Vertiefungshinweis] [Sachverhalt]

I.   Verfassungswidrigkeit von auf § 5 Nr. 4 des vorgeschlagenen Landesversammlungsgesetzes  gestützten Verboten der Vortragsveranstaltungen des C

[Rechtsbehelfe gegen geänderten § 5 Nr. 4]

· beachte: seit der Föderalismusreform von 2006, bei der Art. 74 I Nr. 3 GG geändert wurde, fällt das Versammlungsrecht in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder; diese können das Versammlungsgesetz des Bundes gem. Art. 125a I 2 GG durch Landesrecht ersetzen

1) Verletzung des C in seinem Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 I 1, 1. Alt. GG): (+)

[Verletzung der Versammlungsfreiheit] [Verletzung anderer Grundrechte]

a) Eingriff in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit: (+)

·  beachte: die Verbote der öffentl. Vortragsveranstaltungen richten sich ihrer Zielsetzung nach nicht dagegen, dass C irgendwelche Versammlungen abhält, sondern gegen den Inhalt der geplanten Vorträge, also der von C auf diesen Versammlungen zu erwartenden Äußerungen und berühren daher möglw. die Meinungsfreiheit

· Die Auffassung, die Kriegsgegner seien für den Ausbruch des Krieges verantwortlich (sog. "Kriegsschuldlüge") ist eine auf wertender Betrachtung beruhende Auffassung eine Meinung i.S.d. Art. 5 I 1, 1. Alt. GG. Hier werden nicht Tatsachen behauptet oder geleugnet, sondern in ihrer Gesamtheit beurteilt. Die Frage nach der "Schuld" an einem Kriegsausbruch ist stark abhängig von den angelegten subjektiven Bewertungsmaßstäben und einer Beantwortung durch reine Tatsachenbehauptungen von vornherein nicht zugänglich. Die Darlegung eines bestimmten Geschichtsbildes ist stets das Ergebnis einer Interpretation komplexer historischer Sachverhalte und Zusammenhänge.

b) Fehlen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Eingriffs durch GR-Schranken: (+)

· Problem: § 5 Nr. 4 VersammlG in der beabs. Fassung als allgemeines Gesetz?: (-)

· nach Adressatenkreislehre: (-)

· nach Sonderrechtslehre: (-)

· nach Abwägungslehre : ebenfalls (-)

· Hier kein Schutz eines höherrangigen Rechtsgutes, denn hier wird - anders als in § 130 III StGB - nicht einmal eine Gefährdung des öff. Friedens vorausgesetzt, und anders als die Leugnung der Judenverfolgung, die u.U. auch die heute in der Bundesrepublik lebenden jüdischen Mitbürger beleidigen kann,[21] verletzt die Kriegsschuldlüge nicht Rechte Dritter.

· Die freie Meinungsäußerung des Einzelnen ist gerade bei der Aufarbeitung von Geschichte von bes. Bedeutung für den demokrat. Meinungsbildungsprozess insgesamt. Dazu das BVerfG[22] in ähnlichem Zusammenhang: Äußerungen zur Geschichtsinterpretation, insbesondere solche, die sich auf die jüngere deutsche Geschichte beziehen, fallen als Beitrag zur politischen Meinungsbildung in den Kernbereich des Schutzes, den Art. 5 I 1 GG gewährleistet. Das gilt unabhängig davon, ob sie im Spektrum gängiger Lehrmeinungen oder außerhalb davon liegen, ob sie gut begründet erscheinen oder ob es sich um anfechtbare Darstellungen handelt. Der demokratische Staat vertraut grundsätzlich darauf, dass sich in der offenen Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Meinungen ein vielschichtiges Bild ergibt, dem gegenüber sich einseitige, auf Verfälschung von Tatsachen beruhende Auffassungen im Allgemeinen nicht durchsetzen können. Die freie Diskussion ist das eigentliche Fundament der freiheitl. und demokrat. Gesellschaft.

· beachte: wer in § 5 Nr. 4 VersammlG in der geänd. Fassung ein allgemeines Gesetz i.S.d. Art. 5 II GG erblickt, muss dann jedenfalls dessen Verfassungsmäßigkeit wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verneinen. Die Einschränkung wäre jedenfalls unangemessen (übermäßig), eine verfassungskonforme Auslegung des geänd. § 5 Nr. 4 nicht möglich. Anders als bei der oben behandelten Gesamtmeinungsäußerung mit eingeflochtener (an sich nicht schützenswerter) unwahrer Tatsachenbehauptung ist hier die Schutzwürdigkeit der Meinungsfreiheit nicht reduziert (auch wenn die Kriegsschuldlüge noch so verwerflich sein mag). Ein anderes Ergebnis wäre hier kaum vertretbar, denn es ließe sich nur bei völliger Verkennung der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit für den Meinungs- und Willensbildungsprozess im demokrat. Staate erzielen.

Ergebnis: C wäre in seinem GR aus Art. 5 I 1, 1. Alt. GG verletzt.

2) Verletzung des C und etwaiger interessierter Zuhörer in ihrem Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 I GG): (+)

[Verletzung der Meinungsfreiheit] [Verletzung anderer Grundrechte]

a) Eingriff in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit: (+)

b) Rechtswidrigkeit des Eingriffs (Fehlen einer verfassungsrechtl. Rechtfertigung durch Grundrechts-Schranken: [+])

aa) Zulässigkeit des Eingriffs aufgrund von in der GR-Gewährleistung selbst enthaltenen Schranken: (-)

· beachte: "friedlich und ohne Waffen" ist keine Schranke, sondern eine Einengung des Schutzbereichs

bb) Zulässigkeit des Eingriffs aufgrund eines Gesetzesvorbehaltes: (-)

· der GV in Art. 8 II GG bezieht sich nur auf Versammlungen unter freiem Himmel u. damit nicht auf Versammlungen in Gaststätten

cc) Problem: Zulässigkeit des Eingriffs aufgrund immanenter Grundrechts-Schranken: (-)

a) Die anzuwendenden Kriterien: Rechtfertigung des Eingriffs aufgrund Kollision mit GRen Dritter oder mit anderen Werten von Verfassungsrang (nach hM; vertretbar ist es auch, einer der Gegenmeinungen folgend die Schrankentrias in Art. 2 I GG entsprechend heranzuziehen, die Schranke der allg. Gesetze in Art. 5 II GG zu übertragen oder den Lösungsweg einer restriktiven Schutzbereichsbestimmung zu wählen)

b) Verfassungsrechtl. Rechtfertigung des Eingriffs nach diesen Kriterien: (-)

· bereits keine Kollisionslage, denn die Veranstaltung einer Versammlung, in der die Kriegsschuldlüge verbreitet wird, verletzt weder Grundrechte Dritter (insbes. nicht das Persönlichkeitsrecht Dritter) noch andere Werte von Verfassungsrang. Insbesondere ist hier - anders als bei der Leugnung der an Millionen unschuldiger Bürger begangenen grausamen Verbrechen - keine schwere Störung des öff. Friedens zu erwarten; im Übrigen wäre zweifelhaft, ob es einem Werte von Verfassungsrang entspräche, den öff. Frieden gegen jegliche Störung abzuschirmen.

· selbst wenn man aufgrund mögl. Gefährdung des öff. Friedens eine Kollisionslage annehmen wollte, bleibt der Eingriff unzulässig, denn die Meinungsfreiheit wäre hier gegenüber dem öff. Frieden nicht nachrangig u. im Übrigen wäre ein Verbot nur in den Fällen erforderlich, in denen eine Gefahr für den öff. Frieden tatsächlich nachzuweisen ist, nicht aber pauschal bei allen von C geplanten Vortragsveranstaltungen.

(Wer die o.g. anderen Lösungswege wählt, kommt hier zum gleichen Ergebnis...)

C sowie alle etwaigen interessierten Zuhörer, die sich an den Versammlungen beteiligen, also die Vortragsveranstaltungen besuchen wollen, wären in ihrem GR aus Art. 8 I verletzt.

3) Verletzung des C in seinem Grundrecht aus Art. 3 I GG: (+)

[Verletzung der Meinungsfreiheit] [Verletzung der Versammlungsfreiheit]

a) Vorliegen einer Gleich- oder Ungleichbehandlung: hier Ungleichbehandlung

b)  Willkürlichkeit der Ungleichbehandlung (keine Rechtf. durch sachl. Differenzierungsgrund)

· Problem: Sachlicher Differenzierungsgrund von hinreichendem Gewicht für einseitiges Verbot von öffentlichen Vorträgen mit dem Inhalt der Kriegsschuldlüge?: (-)

(beachte: Auch die Kriegsschuldlüge ist ein "Beitrag" zur Aufarbeitung der deutschen Geschichte; ihre Unterdrückung durch den Staat könnte ihr sogar einen Mythos verleihen und den Meinungsbildungsprozess verzerren; anders als etwa bei der Auschwitzlüge werden hier keine Rechtsgüter verletzt; vgl. im Übrigen die bereits oben angeführte Argumentation)

4) Verletzung des C in seinem Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 III 1 GG): (-)

· Der persönliche Schutzbereich ist berührt, denn Träger des GR sind nicht nur die Professoren und Mitarbeiter an wiss. Institutionen, sondern jeder, der sich wiss. betätigen will.[23]

· Der sachliche Schutzbereich ist jedoch nicht berührt, denn es handelt sich bei der beabs. Lesung aus der Schrift des C nicht um das Vermitteln wiss. Forschungsergebnisse. Wissenschaftliches Vorgehen i.S.d. Art. 5 III GG setzt nicht notwendigerweise die Anerkennung in Wissenschaftskreisen, die Erfüllung der Kriterien best. Wissenschaftstheorien oder die strikte Einhaltung der herkömml. Formalien (Fußnoten, Literaturverzeichnis) voraus, wohl aber einen nach Inhalt und Form ernsthaften Versuch zur Ermittlung von Wahrheit.[24] Als wissenschaftlich lassen sich Ausführungen nur dann qualifizieren, wenn - zumindest auch - sachliche und rationaler Begründungen und Belege der einzelnen Aussagen geliefert werden, was bei C nicht der Fall ist. Außerdem kann zumindest die Kenntnisnahme und Diskussion wichtiger wiss. Untersuchungen verlangt werden, die im Widerspruch zur eigenen Aussage stehen.[25]

5) Verletzung des C oder etwaiger an seinem Vortrag interessierter Zuhörer in ihrem Grundrecht der Informationsfreiheit (Art. 5 I 1, 2. Alt. GG): (-)

·  Der sachliche Schutzbereich der Informationsfreiheit ist hier weder hinsichtl. des C noch hinsichtl. etwaiger Vortragsinteressenten berührt: Die Informationsfreiheit schützt nur die Informationsbeschaffung auf Empfängerseite, nicht aber die - durch die GRe der Meinungsfreiheit, Pressefreiheit u. Rundfunkfreiheit hinreichend gewährleistete - Informationsabgabe. Sie setzt das Vorhandensein einer allgemein zugänglichen Informationsquelle bereits voraus, das Verbot der Vorträge verhindert jedoch bereits, dass eine solche Quelle überhaupt erst entsteht (weswegen es am Maßstab des Art. 5 I 1, 1. Alt. GG zu messen ist). Die Möglichkeit, sich durch Lesen der von C herausgegebenen Schrift zu informieren, wird im Übrigen nicht eingeschränkt.

Ergebnis: Die Vortragsverbote würden den C in seinen GRen aus Art. 5 I 1, 1. Alt., 8 I und 3 I GG und andere Teilnehmer an der Vortragsveranstaltung in ihrem GR aus Art. 8 I GG verletzen.

II.  Erfolgsaussichten von Rechtsbehelfen des C gegen einen § 5 Nr. 4 VersammlG geänderter Fassung vor dem Bundesverfassungsgericht: (-)

[Verfassungswidrigkeit etwaiger Verbote]

In Betracht kommt ausschließl. eine Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 I Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a BVerfGG. C könnte möglicherweise geltend machen, in seinen Grundrechten aus Art. 3 I, 5 I 1, 1. u. 2. Alt., 5 III, 8 I GG verletzt zu sein. Eine etwaige Möglichkeit des C, das Landesversammlungsgesetz wegen Verletzung von Grundrechten aus der Landesverfassung vor dem Landesverfassungsgericht des Landes L anzugreifen, schließt die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfasungsgericht nicht nach § 90 II BVerfGG aus, denn die Landesverfassungsbeschwerde gehört nicht zum "Rechtsweg" i.S.d. § 90 II und hat einen anderen Streitgegenstand als die zum BVerfG (Verletzung von Landes-, nicht Bundesgrundrechten). Es fehlt hier jedoch an der erforderlichen unmittelbaren Beschwer des C als Beschwerdeführers: Ein Gesetz ist nur dann mit der VB angreifbar, wenn die den Beschwerdeführer belastende Wirkung bereits unmittelbar aufgrund der betr. Regelung selbst eintritt und keines exekutiven oder richterl. Vollzugsaktes bedarf.[26] Diese Vorauss. wäre bei § 5 Nr. 4 VersammlG nicht erfüllt, denn er spräche nicht selbst ein Verbot aus, sondern ermächtigte ggf. lediglich die zuständige Behörde in einer Ermessensnorm zu einem Verbot (→ "verboten werden können"). C muss also abwarten, bis eine der von ihm organisierten öffentlichen Vortragsveranstaltungen verboten wird und kann dann gegen dieses behördliche Verbot VB erheben.

 

ANMERKUNG  UND  Vertiefungshinweis:

Während es bei der Auschwitzlüge um unwahre Tatsachenbehauptungen geht, die grundsätzlich (nach hM) nicht unter den Begriff der Meinung fallen und daher von vornherein nicht den Schutz der Meinungsfreiheit genießen, richtet sich der 2005 eingeführte Straftatbestand der Verherrlichung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft (§ 130 IV StGB) eindeutig gezielt gegen eine bestimmte Meinung selbst (auch wenn deren Äußerung nur bestraft wird, wenn sie den öffentlichen Frieden stört und die Würde der Opfer verletzt). Damit ist nicht nur der Schutzbereich der Meinungsfreiheit berührt sondern scheidet, wenn man nicht der reinen Abwägungslehre folgt, auch die Schranke der allgemeinen Gesetze aus. Das BVerfG hat dies in der Wunsiedel-Entscheidung von 2009 (BVerfGE 124, 300) ausdrücklich eingeräumt und für § 130 IV StGB als Sonderrecht auch den Rückgriff auf die Schranke des Rechts der persönlichen Ehre in Art. 5 II GG ausgeschlossen, dann aber - auch zur Begrenzung des Grundrechts aus Art. 5 I 1 GG (!) - auf historisch begründete immanente Grundrechts-Schranken zurückgegriffen: "Angesichts des sich allgemeinen Kategorien entziehenden Unrechts und des Schreckens, die die nationalsozialistische Herrschaft über Europa und weite Teile der Welt gebracht hat, und der als Gegenentwurf hierzu verstandenen Entstehung der Bundesrepublik Deutschland ist Art. 5 Abs. 1 und 2 GG für Bestimmungen, die der propagandistischen Gutheißung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft Grenzen setzen, eine Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts für meinungsbezogene Gesetze immanent." Siehe zu dieser Entscheidung Lepsius, Jura 2010, 527; Volkmann, NJW 2010, 417; Handschell, BayVerwBl. 2011, 745; Hong, DVBl. 2010, 1267; Scheidler, NWVBl. 2010, 131; Kirsch, NWVBl. 2010, 136; Askaryar, KommJur 2010, 405.

Zur Meinungsfreiheit siehe Hufen, Staatsrecht II. Grundrechte, 3. Aufl. 2011, § 25; Epping/Lenz, Jura 2007, 881; Höfling/Augsberg, JZ 2010, 1088; Grimm, NJW 1995, 1697; Enders, JuS 1997, L 9. Speziell zu Fragen als Schutzgut der Meinungsfreiheit siehe BVerfGE 85, 23 (31 ff.) = NJW 1992, 1442 (1443 f.) und Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, Art. 5 Abs. I, II Rdnr. 55b ff.; zu Tatsachenmitteilungen als Schutzgut der Meinungsfreiheit siehe Starck, a.a.O., Rdnr. 26 f.; Herzog, a.a.O., Rdnr. 50 ff. Zum Begriff der allgemeinen Gesetze siehe Hain, Rundfunkfreiheit und Rundfunkordnung, 1993, S. 88 ff.

Zur Auschwitzlüge siehe BVerfG NJW 1993, 916 und BVerfGE 90, 241 sowie zu ihrer strafrechtlichen Verfolgbarkeit Stegbauer, NstZ 2000, 281 und  Beisel, NJW 1995, 997; zur sog. Kriegsschuldlüge siehe BVerfGE 90, 1. Zum Thema Rassenhetze und Meinungsfreiheit siehe Kübler, AöR 125 (2000), 109. Zur Wissenschaftsfreiheit siehe BVerfGE 90, 1 (11 ff.).

Für Fragen, Anregungen und Kritik bin ich unter Tel. 0551-39.46.37 sowie im WS 2001/02 dienstags und mittwochs in Bonn im Institut für Öffentliches Recht, Abteilung Staatsrecht, Adenauerallee 44 (4. OG), Tel. 0228-73.55.73 erreichbar. 

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[1] Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 11. Aufl. 2011, Art. 5 Rdnr. 3 m.w.N.

[2] Siehe zu dieser Problematik BVerfGE 85, 23 (31 ff.) = NJW 1992, 1442 (1443 f.) m.w.N. und Herzog, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, Art. 5 Abs. I, II Rdnr. 55b ff.

[3] Grimm, NJW 1995, 1697 (1698) mit Hinweis auf BVerfGE 61, 1 (8).

[4] Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zu Grundgesetz, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 5 Abs. 1, 2 Rdnr. 22.

[5] Nachweise bei Starck, a.a.O., Art. 5 Abs. 1, 2 Rdnr. 26, Fußn. 92.

[6] Herzog, a.a.O., Art. 5 Abs. I, II Rdnr. 50 ff.

[7] BVerfG in ständiger Rspr. seit BVerfGE 61, 1 (7 ff.); Schmidt-Jortzig, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., Bd. VII, 2009, § 162 Rdnr. 21 m.w.N.; Starck, a.a.O., Art. 5 Abs. 1, 2 Rdnr. 26; Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 5 Rdnr. 4 m.w.N.; Wendt, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 5 Rdnr. 9 m.w.N.

[8] Deutlich BVerfG NJW 1993, 916 (917).

[9] BVerfGE 85, 1 (15); 54, 208 (219); 61, 1 (8); 90, 241 = NJW 1994, 1779.

[10] Vgl. z.B. Bethge, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Aufl. 2011, Art. 5 Rdnr. 28; Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 5 Rdnr. 4; Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum Grundgesetz, 11. Aufl. 2008, Art. 5 Rdnr. 3; Grimm, NJW 1995, 1697 (1699); differenzierend Starck, a.a.O., Art. 5 Abs. 1, 2 Rdnr. 27.

[11] Wendt, a.a.O., Art. 5 Rdnr. 10, Schmidt-Jortzig, a.a.O., § 162 Rdnr. 22.

[12] BVerfGE 61, 1 (9); 85, 1 (15 f.); 90, 241 = NJW 1994, 1779.

[13] Siehe bereits Lackner, Strafgesetzbuch mit Erläuterungen, 23. Aufl. 1999, § 130 Rdnr. 1; Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 50. Aufl. 2001, § 130 Rdnr. 18.

[14] Zum Begriff der "allgemeinen Gesetze" siehe grundlegend Hain, Rundfunkfreiheit und Rundfunkordnung, 1993, S. 90 ff. mit ausführlichen Nachweisen zu den einzelnen vertretenen Auffassungen.

[15] BVerfGE 7, 198 (209 f.) (Lüth-Urteil); seitdem ständ. Rspr.

[16] Diese Fragen sind auch mit der unten in der Anmerkung angesprochenen Wunsiedel-Entscheidung (BVerfGE 124, 300, 322 ff.=) noch nicht geklärt; dort richtete sich die gesetzliche Regelung ummittelbar gegen die Meinung, das Subjektive, Wertende selbst.

[17] So wörtlich BVerfGE 90, 241 (248 f.).

[18] Vgl. zu dieser Voraussetzung BVerfGE 81, 205; 82, 60 (86); Pieroth/Schlink, Staatsrecht II. Grundrechte, 27. Aufl. 2011, Rdnr. 472 ff.; zur einschlägigen Rechtsprechung auch Schmitz, ERPL/REDP 8 (1996), 1263 (1275 ff.) und 10 (1998), 209 (220 ff.). Die Anforderungen an das hinreichende Gewicht des Differenzierungsgrundes variieren hier, je nachdem, ob man eine Ungleichbehandlung von Personengruppen annimmt (dann Anwendbarkeit der sog. "neuen Formel" mit höheren Rechtfertigungsansprüchen) oder eine solche verneint (dann reduzieren sich die Ansprüche auf das sog. "Willkürverbot"). Diese Entscheidung ist indessen selbst eine eher willkürliche Angelegenheit, denn es lassen sich in nahezu allen Fällen der Ungleichbehandlung ohne weiteres betroffene Personengruppen gegenüberstellen (hier z.B.: Linksextremisten, welche die Gewalttaten der Stalinisten oder Roten Khmer leugnen, und Rechtsextremisten, welche die deutschen Gewalttaten während des Nationalsozialismus bestreiten).

[19] Einwände gegen die Beschränkung des § 130 III StGB auf das Leugnen von NS-Gewalttaten finden sich etwa bereits bei Tröndle/Fischer, a.a.O., § 130 Rdnr. 19.

[21] Vgl. dazu BGHZ 75, 160 (162 f.) und BVerfGE 90, 241 (248 ff.).

[22] BVerfGE 90, 1 (20 f.).

[23] BVerfG NJW 1994, 1781; Jarass/Pieroth, a.a.O., Art. 5 Rdnr. 124.

[24] BVerfGE 35, 79 (113); 90, 1 (12).

[25] Vgl. BVerfGE 90, 1 (14).

[26] Ständ. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts seit BVerfGE 1, 97 (101 ff.); vgl. zu dieser Vorauss. Pieroth/Schlink, a.a.O., Rdnr. 1252 f.

 

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